Ein Forschungsteam der Universität Kyoto hat STAG3-Kohäsin entdeckt einen neuen mitotischen Kohäsinkomplex, der zur Bildung der einzigartigen DNA-Architektur von Spermatogonienstammzellen (SSCs) beiträgt, jenen Stammzellen, aus denen Spermien entstehen. Dieser „DNA-Organisator” ist für die Spermienproduktion bei Mäusen von entscheidender Bedeutung: Ohne STAG3 können sich SSCs nicht richtig differenzieren, was zu Fruchtbarkeitsproblemen führt.
Bei Menschen fanden die Forscher heraus, dass STAG3 in Immun-B-Zellen und in B-Zell-Lymphomen (einer Art von Blutkrebs) stark exprimiert wird, und dass seine Blockierung das Wachstum dieser Zellen verlangsamte. Diese Entdeckung könnte den Weg für neue Strategien zur Behandlung von Unfruchtbarkeit und bestimmten Krebsarten ebnen. Die Ergebnisse dieser Studie wurden online in Nature Structural & Molecular Biology veröffentlicht.
Spermatogonienstammzellen weisen eine einzigartige Art der Organisation ihrer DNA auf
Unser Körper enthält viele verschiedene Zelltypen, doch alle enthalten dieselbe DNA. Was jeden Zelltyp einzigartig macht, ist die Art und Weise, wie diese DNA modifiziert, verpackt, gefaltet und organisiert ist. Stellen Sie sich DNA als ein sehr langes Stück Schnur vor. In jedem Zellkern müssen etwa zwei Meter dieser DNA-Schnur gefaltet und in einem Raum gespeichert werden, der kleiner ist als die Breite eines menschlichen Haares.
Diese Faltung ist hochgradig organisiert, mit speziellen Grenzen, sogenannten Isolierungen, die verschiedene Regionen der DNA voneinander trennen und steuern, welche Gene ein- oder ausgeschaltet werden. Ringförmige Proteinkomplexe, sogenannte Kohesine, spielen eine Schlüsselrolle bei der Bildung dieser Grenzen. Bislang ging man davon aus, dass Kohesinkomplexe in zwei Hauptformen vorkommen: mitotische Kohesine (enthalten STAG1 oder STAG2 zusammen mit RAD21) und meiotische Kohesine (enthalten STAG3 zusammen mit REC8 oder RAD21L).
Keimzellen sind einzigartig, da sie die DNA an die nächste Generation weitergeben und während ihrer Entwicklung große Veränderungen in der DNA-Faltung durchlaufen. Diese Zellen durchlaufen während ihrer Entwicklung eine massive Umstrukturierung ihrer DNA-Verpackung. Bemerkenswert ist, dass SSCs eine einzigartige Art der Organisation ihrer DNA mit ungewöhnlich schwachen Grenzen aufweisen, aber Wissenschaftler verstehen noch nicht, wie dies geschieht.
Wichtige Erkenntnisse
Da Kohäsinkomplexe zur Bildung von DNA-Grenzen beitragen und SSCs sich vor Eintritt in die Meiose (eine spezielle Form der Zellteilung, die nur bei Keimzellen vorkommt und durch die Spermien oder Eizellen gebildet werden) mitotisch teilen, beschloss das Forschungsteam, zu kartieren, wo sich verschiedene Kohäsinproteine in in vitro kultivierten SSCs befanden und welche Proteine an den einzelnen Stellen vorhanden waren. Sie fanden heraus, dass RAD21, das normalerweise in sich teilenden Zellen mit STAG1 oder STAG2 zusammenarbeitet, stattdessen mit STAG3 zusammenarbeitete. Bislang ging man davon aus, dass dieses Protein nur während der Meiose eine Funktion hat. Mithilfe der Immunpräzipitation-Massenspektrometrie (einer Technik, mit der festgestellt werden kann, welche Proteine miteinander verbunden sind) bestätigten sie, dass RAD21 und STAG3 einen Komplex bilden, und entdeckten damit eine neue Art von Cohesin, die sie als STAG3-Cohesin bezeichneten.
Um herauszufinden, welche Funktion dieser neue Komplex hat, erzeugten die Forscher in vitro zwei Arten genetisch veränderter SSC: Eine Gruppe wies keinerlei STAG3 auf, während die andere nur STAG3 (ohne STAG1 oder STAG2) enthielt. Sie fanden heraus, dass STAG3-Kohäsin für die ungewöhnlich schwachen DNA-Grenzen in SSC verantwortlich ist. Am wichtigsten war jedoch, dass bei Mäusen, denen STAG3 fehlte, die SSCs nicht effizient von ihrem Stammzellzustand zum nächsten Stadium der Spermienentwicklung übergehen konnten. Dies führte zu einem Fruchtbarkeitsproblem, was zeigt, dass STAG3-Kohäsin mehr als nur die Organisation der DNA übernimmt und für die ordnungsgemäße Entwicklung der Keimzellen entscheidend ist.
Da STAG3 in sich mitotisch teilenden Zellen funktioniert, untersuchte das Team anschließend, ob es auch in anderen menschlichen Zelltypen eine Funktion haben könnte. Durch die Analyse großer Datensätze aller menschlichen Zelltypen fanden sie heraus, dass STAG3 in Immun-B-Zellen und in B-Zell-Lymphomen, einer Art von Blutkrebs, stark exprimiert wird. Interessanterweise führte die Blockierung von STAG3 in Laborstudien dazu, dass diese Lymphomzellen viel langsamer wuchsen, was darauf hindeutet, dass STAG3 als mögliches Ziel für die zukünftige Krebsforschung untersucht werden könnte.
Möglicher Durchbruch für die Stammzellbiologie, Reproduktionsmedizin und Krebsbehandlung
Diese Studie hat STAG3-Kohäsin als einen neuen Typ von DNA-organisierendem Proteinkomplex identifiziert, der ganz anders funktioniert als bisher bekannte Komplexe. Aufgrund seiner einzigartigen Eigenschaften wird erwartet, dass weitere Forschungen zu diesem Komplex unser Verständnis davon verbessern werden, wie die Genaktivität durch die DNA-Organisation gesteuert wird. Eine der auffälligsten Entdeckungen war, dass eine einfache Veränderung der STAG3-Konzentration den Anteil der Stammzellen in den Hoden verändern konnte. Dies deutet auf einen neuartigen Mechanismus hin, der den SSC-Zustand an der Grenze zwischen normaler Zellteilung und Beginn der Meiose reguliert.
Über Keimzellen hinaus weist die Entdeckung, dass die Blockierung von STAG3 das Wachstum von B-Zell-Krebsarten verlangsamt, auf eine mögliche Rolle von STAG3 in der zukünftigen Krebsforschung hin. Obwohl weitere Forschungen erforderlich sind, um die genauen Mechanismen aufzudecken, bieten diese Ergebnisse neue Erkenntnisse, die die Stammzellbiologie, die Reproduktionsmedizin und die Krebsbehandlung voranbringen könnten.