Der Wettbewerb zwischen Spermien ist hart – sie alle wollen als Erste die Eizelle erreichen, um sie zu befruchten. Ein Forschungsteam aus Berlin zeigt an Mäusen, dass die Fähigkeit der Spermien, sich vorwärts zu bewegen, vom Protein RAC1 abhängt. Optimale Mengen des aktiven Proteins verbessern die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Spermien, während eine abweichende Aktivität zu männlicher Unfruchtbarkeit führen kann.
Wie der genetische Faktor „t-Haplotyp“ den Befruchtungserfolg von Spermien fördert
Es ist buchstäblich ein Wettlauf ums Leben, wenn Millionen von Spermien auf die Eizellen zuschwimmen, um sie zu befruchten. Aber entscheidet reines Glück darüber, welches Spermium erfolgreich ist? Tatsächlich gibt es Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Spermien. Bei Mäusen bricht ein „egoistisches” und natürlich vorkommendes DNA-Segment die üblichen Regeln der genetischen Vererbung – und verschafft den Spermien, die es enthalten, eine Erfolgsquote von bis zu 99 Prozent. Ein Forscherteam am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin beschreibt, wie der genetische Faktor „t-Haplotyp“ den Befruchtungserfolg von Spermien fördert, die ihn tragen.
Die Forscher konnten experimentell nachweisen, dass Spermien mit dem t-Haplotyp progressiver sind, d. h. sich schneller vorwärts bewegen als ihre „normalen“ Artgenossen, und sich dadurch einen Vorteil bei der Befruchtung verschaffen. Die Forscher analysierten einzelne Spermien und stellten fest, dass die meisten Zellen, die auf ihrem Weg nur geringe Fortschritte machten, genetisch „normal“ waren, während sich die Spermien, die sich geradeaus bewegten, überwiegend den t-Haplotyp enthielten. Vor allem aber konnten sie die Unterschiede in der Beweglichkeit mit dem Molekül RAC1 in Verbindung bringen. Dieser molekulare Schalter überträgt Signale von außerhalb der Zelle ins Innere, indem er andere Proteine aktiviert.
Das Molekül ist dafür bekannt, dass es beispielsweise weiße Blutkörperchen oder Krebszellen zu Zellen lenkt, die chemische Signale aussenden. Die neuen Daten deuten darauf hin, dass RAC1 auch eine Rolle dabei spielen könnte, Spermien zum Ei zu lenken, indem es sich den Weg zu seinem Ziel „erschnüffelt“. „Die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Spermien scheint von einem optimalen RAC1-Spiegel abzuhängen; sowohl eine verminderte als auch eine übermäßige RAC1-Aktivität beeinträchtigt die effektive Vorwärtsbewegung“, sagt Alexandra Amaral, Wissenschaftlerin am MPIMG und Erstautorin der Studie.
t-Spermien vergiften ihre Konkurrenten
„Spermien mit dem t-Haplotyp schaffen es, Spermien ohne diesen Haplotyp außer Gefecht zu setzen“, sagt Bernhard Herrmann, Direktor am MPIMG und am Institut für Medizinische Genetik der Charité – Universitätsmedizin Berlin und korrespondierender Autor der Studie. Der Trick besteht darin, dass der t-Haplotyp alle Spermien ‚vergiftet‘, aber gleichzeitig ein Gegenmittel produziert, das nur in t-Spermien wirkt und diese schützt. Wie die Experten herausfanden, enthält der t-Haplotyp bestimmte Genvarianten, die Regulationssignale verzerren. Diese verzerrenden Faktoren werden in der frühen Phase der Spermatogenese festgelegt und auf alle Spermien einer Maus mit dem t-Haplotyp verteilt. Diese Faktoren sind das „Gift“, das die fortschreitende Bewegung stört.
Das „Gegenmittel“ kommt zum Tragen, nachdem die Chromosomen während ihrer Reifung gleichmäßig auf die Spermien aufgeteilt wurden – jede Spermienzelle enthält nun nur noch die Hälfte der Chromosomen. Nur die Hälfte der Spermien mit dem t-Haplotyp produziert einen zusätzlichen Faktor, der die negative Wirkung der Distortionsfaktoren umkehrt. Und dieser Schutzfaktor wird nicht verteilt, sondern in den t-Spermien erhalten.
Abnormale RAC1-Aktivität und männliche Unfruchtbarkeit
Bei Spermien von männlichen Mäusen, bei denen der t-Haplotyp nur auf einem ihrer beiden Chromosomen 17 vorkommt, beobachteten die Forscher, dass sich einige Zellen vorwärts bewegen und andere kaum Fortschritte machen. Sie testeten einzelne Spermien und stellten fest, dass die genetisch „normalen“ Spermien meist nicht geradeaus schwimmen. Als sie die gemischte Spermienpopulation mit einer Substanz behandelten, die RAC1 hemmt, beobachteten sie, dass nun auch genetisch „normale” Spermien progressiv schwimmen konnten. Der Vorteil der t-Spermien war verschwunden, was zeigt, dass eine abnormale RAC1-Aktivität die progressive Motilität stört.
Die Ergebnisse erklären, warum männliche Mäuse mit zwei Kopien des t-Haplotyps, eine auf jedem der beiden Chromosomen 17, unfruchtbar sind. Sie produzieren nur Spermien, die den t-Haplotyp tragen. Diese Zellen weisen einen viel höheren Gehalt an aktivem RAC1 auf als Spermien von genetisch normalen Mäusen, wie die Forscher nun herausfanden, und sind fast unbeweglich. Aber auch Spermien von normalen Mäusen, die mit dem RAC1-Inhibitor behandelt wurden, verloren ihre Fähigkeit, sich progressiv fortzubewegen. Eine zu geringe RAC1-Aktivität ist also ebenfalls von Nachteil. Die Forscher vermuten, dass eine abnormale RAC1-Aktivität auch bestimmten Formen der männlichen Unfruchtbarkeit zugrunde liegen könnte. Genetische Unterschiede können einzelnen Spermien einen Vorteil im Wettlauf ums Leben verschaffen, und so die Weitergabe bestimmter Genvarianten an die nächste Generation fördern.